Fischsoße war das Ketchup der Antike. Das ist eine wesentliche Erkenntnis der Archäologin Ursula Janßen, die sich für ihr Buch mit historischen Rezepten auseinandersetzte.
Wie kochte man in der Antike? Was kam im Mittelalter auf den Tisch? Aß man zu hause oder unterwegs? Und wann aß man? Ursula Janßen, Archäologin und Küchenhistorikerin, ging Fragen wie diesen für ihr Buch „Garum. Rezepte aus der Geschichte“ nach. Neben kurzen Einblicken in die Esskultur, in verwendete Garverfahren und in damals übliche Zubereitungen im Alten Orient, im antiken Roms, im europäischen Mittelalter, im mittelalterlichen Nahen Osten und in der Renaissance stellt Janßen typische Gerichte der jeweiligen Zeit vor. Babylonischen Fisch beispielsweise oder Gurkengemüse nach alexandrinischer Art. Gefüllte Siebenschläfer. Sardinentörtchen. Bastani (persische Eiscreme). Ackerbohnenpüree mit karamellisierten Zwiebeln. Oder süßen Gerstenbrei.
Wie und wo hat man gegessen? „Das lässt sich so pauschal gar nicht beantworten, weil die Zubereitung von Essen stark von der sozialen Stellung abhing“, erklärt Janßen. „Im antiken Rom beispielsweise besaßen die Wohnungen in den insulae, den Wohnblöcken mit bis zu sechs Stockwerken, wegen der Feuergefahr keine Küchen. Zu Hause wurde kalt gegessen, warmes Essen gab es in den Imbissen und Tavernen auf der Straße. Ganz anders sah die Situation natürlich für die Oberschicht in ihren Villen aus, und wieder anders waren die Umstände auf dem Lande.“ Über die Koch- und Esskultur des Mittelalters weiß Janßen: „Die Menschen aßen früh: Die Hauptmahlzeit des Tages war ursprünglich gegen 10 Uhr vormittags und rückte dann, im Laufe der Jahrhunderte, immer weiter in Richtung Mittag, während das Abendessen um die Zeit des Sonnenuntergangs gegessen wurde. Im Sommer, wenn die Sonne erst spät unterging, gab es einen Nachmittagssnack. Jede zusätzliche Mahlzeit galt als Völlerei.“
Der tägliche Kalorienbedarf eines mittelalterlichen Bauern wird auf 3.000 bis 4.000 Kalorien geschätzt, „eine Menge, die, wenn sie überwiegend über Getreide und Gemüseeintöpfe aufgenommen wird, enorme Portionen voraussetzt“, weiß die Forscherin nun. Nicht nur Verfügbarkeit und Preis bestimmten das Prestige eines Lebensmittels, und damit auch, wer es essen konnte, „auch die Art und Weise, wie und wo es wuchs, war wichtig: je höher, desto vornehmer. Wurzelgemüse war demnach für die Bauern, auf Erdbeeren konnte man im wahrsten Sinne des Wortes hinabsehen, während Baumobst wie Äpfel oder Birnen ein wahrhaft nobler Leckerbissen war. Im Allgemeinen wurde dem Erscheinungsbild von Gerichten und der gesamten Tafel viel Aufmerksamkeit geschenkt; ein blütenreines Tischtuch war ein Muss. Die Menschen aßen säuberlich mit den Händen; Gabeln kamen nur langsam auf und waren zunächst als zimperliches Kinkerlitzchen verpönt.“ Die Küche der Renaissance wiederum unterscheidet sich nicht grundlegend von der des Mittelalters. Jedoch, „die Essenszeiten verschoben sich weiter nach hinten, sodass die Hauptmahlzeit nun am frühen Abend eingenommen wurde.“
Überraschend ist die (Nicht-)Verwendung heute traditioneller, damals jedoch unbekannter Lebensmittel: „Kürbisse, Zucchini, Bohnen und Mais kamen aus der sogenannten Neuen Welt (das von den Spaniern unter Christoph Kolumbus im Jahr 1492 wiederentdeckte Amerika) und wurden zuerst in die italienische Küche integriert. Kakao war teuer, Tomaten und Kartoffeln wurden misstrauisch beäugt und Peperoni waren nichts als eine exotische Kuriosität. Tatsächlich war der Konsum von Tomaten, heute praktisch ein Symbol der italienischen Küche, bis tief in das 18. Jahrhundert hinein nicht üblich.“ Und: Die Menschen der Renaissance waren offensichtlich auch sehr von Käse angetan.
Kombination aller Geschmacksrichtungen
„Meist handelt es sich bei historischen Rezeptsammlungen üblicherweise um die Küche der Oberschicht. Alltagsgerichte wurden nur selten aufgeschrieben. Dennoch sind diese Gerichte repräsentativ, denn sie stellen das Ideal der jeweiligen Küche dar. Vom alten Rom bis über das Mittelalter hinaus lässt sich zusammenfassend sagen, dass die harmonische Kombination aller Geschmacksrichtungen als ideal galt: salzig, süß, sauer und sogar bitter.“
Zwei Monate hat Janßen die Rezepte, die sie in ihrem Buch veröffentlicht, nachgekocht. „Mir war es wichtig, dass sich die Gerichte in einer modernen Küche und mit gut erhältlichen Zutaten nachkochen lassen und dass sie auch mit den heutigen Ernährungsgewohnheiten in Einklang zu bringen sind. Ein Rezept für beispielsweise gebratenen Flamingo – das steht tatsächlich bei Apicius – wäre sinnlos.“ Gleichzeitig sollten die Rezepte natürlich außergewöhnlich und exotisch genug sein, um ein besonderes Koch- und Geschmackserlebnis zu erreichen. „Da ich der Meinung bin, dass die Authentizität sich der Experimentierfreude und der Lust am Kochen unterzuordnen hat, schlage ich gerne alternative Zutaten vor, die aber dennoch das Konzept des Gerichts nicht verfälschen“, erklärt sie ihr Vorgehen. So zum Beispiel bei der Fischsoße. „Tatsächlich sind nicht nur die italienische Colatura di Alici, sondern auch die thailändische Nam Pla oder die vietnamesische Nuoc Mam in Herstellung und Geschmack dem altrömischen Garum wahrscheinlich ziemlich ähnlich. Irgendwann ging meine Familie in Fischsoßenstreik und ich bin dazu übergegangen, Sojasoße zu verwenden, was auf den ersten Blick vielleicht verwundern mag, aber in der Tat ist die Sojasoße in Ostasien wahrscheinlich als vegetarische und preiswertere Alternative zu Fischsoße entstanden. Unabhängig davon, ob diese Soßen aus Fisch, Bohnen oder Getreide fermentiert wurden, sie alle vereint die starke Würzkraft, das Umami.“
Das Buch „Garum. Rezepte aus der Geschichte“ ist bei Amazon auf Deutsch und auf Englisch erhältlich.
Garum - die universelle Zutat
Garum erfreute sich in der antiken römischen Küche größter Beliebtheit. Diese Würzsoße wurde für salzige und süße Speisen verwendet, in etwas so, wie heutzutage Fischsoße in der asiatischen Küche zum Einsatz
kommt. Fische unterschiedlichster Art wurden samt Eingeweide in Salzlake eingelegt und teilweise monatelang der Sonne ausgesetzt. Dabei wurde das Fischeiweiß durch in den Eingeweiden enthaltene Enzyme abgebaut. Dieses Gemisch wurde dann ausgepresst und mehrfach gefiltert, bis man eine klare, bernsteinfarbene Flüssigkeit erhielt. Während des Herstellungsprozesses stank es ungemein, sodass die Produktion in einigen Ortschaften untersagt wurde.
Mehr dazu im E-Paper von Cooking + Catering inside, Ausgabe 7/8 2020, Seite 26 ff.
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