Immer mehr Menschen essen vegetarisch, und wenn dies nur zeitweise ist. Einst als Ernährungsform von Ökofreaks verschrien, ist daraus ein Ernährungstrend geworden; mit großer Relevanz auch für den Außer-Haus-Markt.
Fleischlos zu essen liegt im Trend. Was auf den ersten Blick nach Verzicht klingt, erweist sich auf den zweiten bei Weitem nicht so, sondern Vegetarismus ist inzwischen zu einer bewussten Ernährungsform geworden. Und zu einem Markt, in dem noch etliches Umsatzpotenzial schlummert.
Dem kürzlich veröffentlichten Ernährungsreport 2020 zufolge bezeichnen sich 55 Prozent der Befragten als Flexitarier, also Fleischesser, die zeitweise fleischlos essen (der Anteil von Vegetariern ist gleich geblieben und liegt wie auch schon wie im Vorjahr bei fünf Prozent, der der Veganer bei einem Prozent). Und so steigt auch die Zahl der Unternehmen, die vegane und vegetarische Produkte anbieten, kontinuierlich an. Das Onlineportal Statista weist für 2019 einen Umsatz mit vegetarischen und veganen Lebensmitteln von rund 1,22 Mrd. Euro aus. 2018 waren es 978 Mio. Euro, 2017 lag der Umsatz bei 736 Mio. Und es wird so weiter gehen. „Die Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen steigt seit einigen Jahren rasant“, konstatiert auch Sven Kreitz, Marketing-Leiter Milram Food-Service.
Ein Topthema für den Foodservice
„Dass dieses Marktsegment weiter an Bedeutung gewinnt, zeigt auch die immer größer werdende Regalfläche im Lebensmitteleinzelhandel. Eine solche Entwicklung ist voraussichtlich auch im Foodservice zu erwarten.“ Diese Einschätzung teilen viele Marktteilnehmer. Dr. Torsten Dickau, Leiter Nestlé Professional Service Center: „Mittlerweile zählen wir in Deutschland rund 42 Millionen Flexitarier. Damit ist diese Ernährungsform in der Mitte der Gesellschaft angekommen – und somit auch ein Topthema für den Außer-Haus-Markt.
Wer hier mit einem attraktiven Angebot punkten kann, kann eine immer größer werdende Zielgruppe an sich binden.“ Auch bei Mitbewerber Dr. Oetker konstatiert man eine „große Relevanz von vegetarischen und veganen Produkten“.
Vegetarismus ist nicht nur eine Ernährungsweise, sondern geht in den meisten Fällen mit einer bestimmten Lebensweise oder Werteorientierung einher. Die Motivationen, zeitweise oder permanent vegetarisch zu leben, sind dabei verschieden. Da gibt es beispielsweise diejenigen, die im Sinne von Tierwohl ethisch handeln möchten. Dann gibt es diejenigen, die gesünder leben wollen. Und dann gibt es diejenigen, die der Umwelt zuliebe auf tierische Produkte verzichten.
Fleischfrei – und alles is(s)t gut?
Doch ist vegetarisch wirklich tierethisch besser, klimaschonender, gesünder? Bartelt: „Hier mit Ja oder Nein zu antworten, wird aus unserer Sicht der Sache nicht gerecht.“ Denn um sich einer Antwort nähern zu können, muss man inhaltlich tiefer gehen. Und man stellt schnell fest, wie vielschichtig dieser Themenkomplex ist.
„Wer sich ungefähr die Hälfte der Zeit vegetarisch ernährt, der spart laut ProVeg in 30 Tagen 19.500 Liter Wasser und 22 Kilogramm CO2 ein“, so Dr. Torsten Dickau von Nestlé. Das ist eine Menge. Doch das darf nicht undifferenziert betrachtet werden, denn auch manch fleischloses Produkt verursacht hohe Treibhausgas-Emissionen. Kay Walter, Key Account Manager GV bei Grossmann Feinkost, verweist auf die Rolle der Zutaten in den vegetarischen Produkten. „Es kommt immer stark darauf an, woher die Zutaten stammen, wie weit sie transportiert werden. Bei all den scheinbar positiven Effekten muss auch bedacht werden, dass weltweiter Fleischverzicht wirtschaftlich, ethisch und sozial nicht machbar wäre.“ Kürzlich habe eine deutsche Fernsehanstalt die Klimaauswirkung eines „normalen“ Burgers und eines Veggie-Burgers gegenüberstellt. Der Veggie-Burger sei nur minimal umweltfreundlicher davongekommen.
Eine Zutat, die kontrovers diskutiert wird, ist beispielsweise Soja. Billiges Fleisch, Milch und Butter sind nur in Großbetrieben herzustellen. Das Futter für die Tiere ist oft sojabasiert, weil proteinreich. Und eiweißhaltiges Futter trägt zu einem schnellen Wachstum bei. Elementarer Aspekt in der Massentierhaltung. Eine große Menge des Sojas kommt aus Nord- und Südamerika. Für den Anbau der Sojabohne werden Wälder gerodet und Monokulturen angebaut. Laut WWF dienen inzwischen 80 Prozent des importierten Sojas als Futtermittel. Natürlich wird Soja auch von vielen Vegetariern als Fleischersatz genutzt, denn, so Dickau: „Sojaprodukte sind besonders reich an Proteinen und Ballaststoffen – ein wichtiger Punkt in der fleischfreien Ernährung. Darüber hinaus sind Produkte aus Soja in der Proteinzusammensetzung Fleisch sehr ähnlich. Darum ist ihre biologische Wertigkeit fast annähernd so hoch wie die von Rindfleisch. Gleichzeitig sind Sojaprodukte cholesterinfrei und fettarm, die enthaltenen Fette weisen einen hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren auf.“
Vegetarisch – nicht zwingend gesünder
Dann ist da das Tierwohl, das viele Menschen dazu bewegt, sich temporär und dauerhaft fleischfrei zu ernähren oder tierische Produkte komplett außen vor zu lassen. Gerade die vergangenen Wochen haben wieder deutlich gezeigt, dass die konventionelle Fleischproduktion und -verarbeitung pervertiert ist. Doch es gibt es, das Tierwohl, auch in der Nutztierproduktion. Allgemein geht man von drei wesentlichen Punkten aus, die für das Tierwohl entscheidend sind: die Tiergesundheit, die Möglichkeit für die Tiere, ihren natürlichen Verhaltensweisen nachzugehen, und ihr Wohlbefinden. Alle diese Aspekte können hier kaum in Ausführlichkeit dargestellt werden. Daher, stark verkürzt: Das Tierwohl hängt ab vom „Wie?“, Wie viel?“ und „Wo?“
Und schließlich wird oft auf die Gesundheit verwiesen, weshalb der Fleischkonsum eingeschränkt oder eingestellt wird. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine vegetarische Ernährung in der Tat viele positive Effekte für die Gesundheit haben kann. Doch „ob ein Produkt ,gesund‘ ist, hängt von den Zutaten ab“, so Kay Walter. „Nur, weil ein Produkt als vegetarisch oder vegan deklariert ist, bedeutet dies nicht, dass es auch automatisch gesünder ist. Vegane oder vegetarische Fleischalternativen können eine Ernährungsumstellung zwar erleichtern, doch sie können auch viele künstliche Zutaten enthalten.“ Dass dem nicht so ist, darauf achte man bei der Rügenwalder Mühle, sagt Godo Röben, Mitglied der Geschäftsleitung bei Rügenwalder. „Kurze Zutatenlisten stehen im Fokus. Wir verfolgen den Grundsatz: So wenig wie möglich und so viel wie nötig. Das heißt, wir setzen nur so viele Zusätze ein, wie für den Geschmack und vor allem die Lebensmittelsicherheit absolut notwendig sind. Keine Geschmacksverstärker und Süßungsmittel.“ Ursprünglich Fleischproduzent, ist Rügenwalder Mühle inzwischen Marktführer, geht es um fleischfreie Alternativen (Marktanteil von 44,8 Prozent). Die Rohstoffe und deren Herkunft spielen bei der Herstellung eine grundlegende Rolle. Das eingesetzte Soja kommt aus Europa, aus der Donauregion, nicht, wie sonst üblich, aus Brasilien, Argentinien und Paraguay. Die Erbsen kommen aus Frankreich. Weitere, heimische Proteinquellen sind Ackerbohnen, Kartoffeln oder Lupinen. Röben: „Die Auswahl an pflanzlichen Proteinen wird immer größer. Der Verbraucher hat heute die Wahl zwischen Produkten auf Basis von beispielsweise Erbsen, Weizen oder Lupinen. Beim Veganen Schinken Spicker haben wir zum ersten Mal auch mit Kartoffelprotein gearbeitet.“ Auch bei Transgourmet hat man die Bandbreite der pflanzlichen Proteine als Ersatz für tierische im Blick: „Der Markt ist sehr dynamisch und die weitere Ausrichtung unseres Angebots hängt selbstverständlich in erster Linie von den Wünschen unserer Kunden ab“, so Annika Ziegler, Referentin Nachhaltigkeit bei Transgourmet.
So weit, so nachvollziehbar. Doch warum müssen es überhaupt Ersatzprodukte sein? Warum nicht einfach pflanzliche Lebensmittel? „Die Entscheidung für die pflanzliche Alternative kann durch Fleischersatzprodukte erleichtert werden, denn das Produkt und der Geschmack sind vertrauter und der bisherigen Ernährungsweise ähnlicher als beispielsweise ein Gemüsegericht. Die ganze aufregende Bandbreite der vegetarischen und veganen Küche wird dann im Idealfall Schritt für Schritt entdeckt“, so die Erfahrung von Annika Ziegler. Dickau ergänzt: „Es gibt Gäste, die bislang kaum in Berührung mit pflanzlichen Ersatzprodukten gekommen sind. Pflanzliche Ersatzprodukte sind für aufgeschlossene Fleischesser oftmals der erste Kontakt zur vegetarischen Küche. Damit es nicht beim bloßen Ausprobieren bleibt, müssen diese Produkte so gut schmecken, dass man sich mindestens ein zweites Mal dafür entscheidet. Ersatzprodukte bieten hier den Vorteil, dass sie sich in vertraute Gerichte übersetzen lassen. Der Speiseplan muss also nicht komplett revolutioniert werden, wenn Bolognese, Chili oder auch Burger als fleischfreie Varianten daherkommen. Produkte, die dem vertrauten Original aus Fleisch nahekommen, können dabei helfen, Vorurteile abzubauen. Ein gutes Beispiel ist unser Garden Gourmet Sensational Burger. Bei Blindverkostungen haben viele Tester gar nicht bemerkt, dass sie kein Fleisch auf dem Teller haben.“ Außerdem spiele für die wachsende Zielgruppe der Flexitarier bewusster Genuss eine wichtige Rolle, so Dickau. „Sie wollen überrascht werden, probieren gerne Neues aus. Gleichzeitig kennen sie das Geschmackserlebnis von Fleischprodukten und möchten dieses nicht missen. Pflanzliche Ersatzprodukte erfüllen diesen Wunsch, da sie in Form und Textur gängigen Fleischsorten ähneln.“
Gelernter Geschmack und die erwartungen der Gäste
Ja, Geschmack ist eben gelernt. Textur ebenfalls. Und entsprechend ist der Anspruch der Kunden und Gäste. Sven Kreitz: „Wenn wir zum Beispiel klassische Convenience-Produkte wie Fruchtjoghurt oder Quarkdessert betrachten, dann haben die Konsumenten eine klare Erwartungshaltung an Geschmack, Textur und Aussehen. Diese Erwartungen werden auf pflanzliche Alternativen, die in der gleichen Produktkategorie positioniert werden, übertragen. Das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen.“
In Gastronomie und Catering ist das Bedürfnis der Gäste zu mehr Fleischfreiheit auf dem Teller jedenfalls angekommen. Und die Nachfrage nach Fleisch wird weiter zurückgehen. Dickau: „Vegetarische und vegane Produkte boomen. Über alle gastronomischen Teilbereiche hinweg sind fleischfreie Alternativen gefragt – Tendenz steigend. Insgesamt stehen wir bei veganen und vegetarischen Produkten erst am Anfang. Zwischen 2015 und 2040, so die Prognosen, wird der weltweite Umsatz mit Fleischersatzprodukten auf 450 Milliarden US-Dollar steigen. Bei ‚echtem‘ Fleisch rechnen Experten mit deutlichen Umsatzeinbußen.“
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