Ob fleischfrei, ist immer seltener die Frage. Wie ausgeprägt fleischfrei, schon eher. Eine Speisekarte völlig ohne fleischfreie Angebote – in der Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung bekommt sie immer öfter Seltenheitswert.
Vier von hundert Erwachsenen in Deutschland ernähren sich gewöhnlich vegetarisch. Das hat das Robert-Koch-Institut ermittelt. Das klingt überschaubar. Trotzdem haben sich vegetarische Speisenangebote fest etabliert und werden sich weiter festsetzen. Das liegt nicht unbedingt an der Gruppe der eingefleischten Vegetarier. Bedeutsamer ist die große Zahl der Flexitarier, die seltener und dafür bewusster Fleisch verzehren. Nach Angaben von ProVeg (ehemals: Vegetarierbund Deutschland, VEBU) sind das immerhin 42 Millionen Menschen in der Bundesrepublik.
Hinzu kommt: Unter den Gästen, die in der Zukunft die Gastronomie deutlicher prägen werden, werden voraussichtlich wesentlich mehr Vegetarier sein. So ermittelte das Robert-Koch-Institut bei den 18- bis 29-Jährigen einen Vegetarier-Anteil von fünf Prozent bei den Männern und sogar von mehr als neun Prozent bei den Frauen.
Einen der Anhaltspunkte für diese Entwicklung liefert das „GV-Barometer“, das anlässlich der Fachmesse Internorga 2018 vorgestellt wurde. Es basiert auf der Befragung von Entscheidungsträgern aus der Gemeinschaftsverpflegung. Das GV-Barometer sagt aus, dass vegetarische Speisen für Betriebsrestaurants mit einem Anteil von 65 Prozent, für Kliniken/Heime mit 55 Prozent und für Senioreneinrichtungen mit 44 Prozent als erfolgreichste Trends angesehen werden; sie stehen in der Hitliste am höchsten, folgen direkt den regionalen Speisen. 65 Prozent der GV-Verantwortlichen gehen davon aus, dass vegetarisches und veganes Essen in den nächsten drei Jahren an Bedeutung gewinnen wird.
Aus Sicht von ProVeg hat sich der Markt stabilisiert. Das zeigt sich nach Auffassung von Katleen Haefele, Head of Food Services & Events bei ProVeg zum Beispiel daran, dass pflanzliche Gerichte zum festen Bestandteil in der Gemeinschaftsverpflegung geworden seien.
Diese Situation bestätigt unter anderem das Cateringunternehmen Sodexo. Das hatte in diesem Jahr zum ersten Mal eine bundesweite Veggie-Aktionswoche unter dem Motto „Hin & Veg – es geht auch mal ohne Fleisch und Fisch“ für den Bereich der Schulverpflegung auf die Beine gestellt. Rund 600 Schulen beteiligten sich. Die meisten Aktionsgerichte gestaltete ProVeg mit. Darunter waren ein Sesamburger mit Gemüsepatty und eine vegane Paella mit Kichererbsen.
Bereits seit längerem offeriert Sodexo mit seiner vegetarisch-veganen Menülinie „Peter + Silie“ pflanzliche Alternativen in der Betriebsverpflegung. Sodexo-Mitbewerber Dussmann nimmt sogar für sich eine Schrittmacherrolle in Anspruch. „Als erster großer Caterer in Deutschland haben wir vegane Ernährung für die Gemeinschaftsgastronomie kompatibel gemacht“, begründet Spartenleiter Karsten D. Reischl diese Einschätzung.
Das komplett vegane Menü „Dussmann vegan“ werde seit 2014 im Regelbetrieb serviert, während eine vegetarische Menülinie bereits vor vielen Jahren etabliert worden sei. Spannend findet der Chef-Caterer die Kombinationen und Zubereitungsformen, die bei vegetarischen oder veganen Varianten möglich sind. Dussmann setzt etwa stark auf die Buddha Bowls. Für die werden rohe und gekochte Lebensmittel, Gemüse, Obst, Nüsse und Dressings miteinander verbunden – und in einer flachen Schüssel gereicht.
Bei Dussmann orientiert sich die Zusammenstellung der Zutaten an diesen Richtwerten: 10 bis 15 Prozent Protein, 35 bis 40 Prozent vollwertige Körner und Getreide, 40 Prozent vitaminreiche Rohkost und 10 Prozent unverarbeitete Fette.
Ein deutliches Zeichen für den Stellenwert, den sich vegetarische und vegane Ernährung inzwischen im Außer-Haus-Bereich erobert hat, wurde auf der diesjährigen Internorga besetzt. Auf dieser europäischen Leitmesse war ProVeg zum ersten Mal als Kooperationspartner dabei.
Ein markantes Signal wurde ebenfalls durch die Richtlinien für eine vegetarische Menülinie in der Gemeinschaftsverpflegung gesetzt, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) im März 2018 vorgestellt hat. Seitdem zählen wertvolle pflanzliche Proteine zu den Standards. Der DGE zufolge gehören mindestens eine Portion Hülsenfrüchte sowie mindestens eine Portion Nüsse, Kerne oder Ölsamen pro Woche auf den Teller. Der Schwerpunkt der Menügestaltung liegt auf vollwertigen pflanzlichen Angeboten wie zum Beispiel Linsenbolognese, Kichererbsencurry, Polentaschnitten sowie Bohnen- oder Getreidebratlingen, die sich einfach zubereiten lassen.
„Pflanzlich kochen ist mehr als das Weglassen von Fleisch“, betont Katleen Haefele. Vielmehr müssten vollwertige Kombinationen auf der Basis von Gemüse und Hülsenfrüchten entwickelt werden. Katleen Haefele meint: „Die pflanzliche Küche bringt viele neue Lebensmittel und Zubereitungsweisen mit sich. Hier ist Kreativität und Innovationsfreude gefragt.“ Letzteres ist in der Gemeinschaftsverpflegung ebenso wie in der Gastronomie zwar stark ausgeprägt. Jedoch lassen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in manchen Betrieben nach wie vor zu wünschen übrig, obwohl viele Gäste mittlerweile bereit sind, für gesunde und schmackhafte Gerichte etwas tiefer in die Tasche zu greifen.
Gerade deshalb möchte ProVeg durch vielfältige Unterstützungsmaßnahmen in Kantinen und Mensen Akzente setzen – in der Annahme, dass die Strahlkraft auf den Rest der Branche und die Öffentlichkeit besonders groß sein wird.
An die Gemeinschaftsverpflegung, aber auch die Gastronomie richten sich Angebote wie die Schulungen und Workshops, die auf Wunsch vor Ort in den Betrieben abgehalten werden können, und Status-Quo-Analysen, bei denen Zielgruppen und Potenziale detailliert auf den Prüfstand gelangen. Die Menüentwicklung dient der professionellen Entwicklung neuer Rezepte für die jeweilige Zielgruppe. Ferner enwickelt ProVeg Kommunikationskonzepte einschließlich der individuellen Gestaltung von Informationsmaterialien für Gäste, Kunden und Mitarbeiter.
Für Köche veganer Angebote sehr hilfreich: Auf der Website von ProVeg kann kostenlos eine Checkliste heruntergeladen werden, mit der sich für die Gemeinschaftsverpflegung vegane Mahlzeiten konzipieren lassen.
Für Profi-Köche Köche gut zu wissen: ProVeg hat das Team seiner Schulungsköche erweitert. Marketa Schellenberg ist auch als Showköchin der Frontcooking-Akademie und Dozentin beim Verein für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) tätig. Ingo Kokartis war Betriebsleiter für Dorfner Menü, Apetito Catering und Dussmann Service Deutschland. Aktuell leitet er Catering und Service der Schön-Klinik in Hamburg.
Marcel Schwarz bringt Erfahrungen in der Fünf-Sterne-Hotellerie mit und wurde 2014 als „Bester Diätkoch“ ausgezeichnet. Bemerkenswert: Mit dem „Largest Vegan Cake“ von 338,9 Kilogramm hat er es in das Guiness Buch der Rekorde geschafft. Stephan Giannangeli war Chefkoch des Bio-Seminarhotels Essentis und Anette Büning Produktmanagerin in der Hochschulgastronomie. Diese Köche setzen eigene Wegmarken auf der Strecke zu mehr vegetarischer und veganer Ernährung in Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung.
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