Die Verpflegung in Kliniken und Seniorenheimen galt bis vor paar Monaten als stabiles, eher homogenes Geschäft. Und dann kam Corona. Während die Business- und die Schulverpflegung mit gravierenden Einbrüchen kämpfen mussten, sieht es im Care-Bereich nicht ganz so dramatisch aus. So scheint es. Doch schaut man genauer hin, stehen die Küchen in Kliniken und Senioreneinrichtungen in Zeiten von SARS-CoV-2 vor immensen Herausforderungen: Die normalen Prozesse und damit auch die Essenversorgung müssen in den Einrichtungen weiterhin stabil laufen. Daraus resultieren gravierende Auswirkungen auf die Betriebe, und die wiederum sind sehr heterogen.
Einschnitte für die Krankenhausküchen
Einer, der die Situation im Care-Catering detailliert kennt, weil er sie schon seit Jahren eng begleitet, ist Simon Kuhn, geschäftsführender Gesellschafter von K&P Consulting aus Düsseldorf. Auch, weil K&P in regelmäßigen Abständen die Care-
Studie durchführt, eine repräsentative Befragung zur Situation der Verpflegung in Krankenhäusern (siehe auch Seite 20). Er skizziert die Situation, vor der viele Care-Caterer und Krankenhausküchen plötzlich standen: „Vor der Corona-Krise hatten Seniorenresidenzen und Krankenhäuser eine kontinuierliche Auslastung. Während der Krise wurden in den Krankenhäusern in kürzester Zeit Bettenkapazitäten für eventuell sich einstellende Corona-Patienten frei gemacht, das heißt, viele Küchen haben von heute auf morgen ihre Ausbringungsmenge auf bis zu 50 Prozent reduzieren müssen. In den Häusern wurden in der Regel nur noch Akutpatienten aufgenommen, geplante Operationen zumeist abgesagt. Um die wirtschaftlichen Effekte aufzufangen und die personellen Überkapazitäten abzuschmelzen, bedeutete dies für den Caterer massive Anpassungen im Personalstamm durch die Einführung von Kurzarbeit. Parallel wurde die öffentliche Gastronomie in den Krankenhäusern für Dritte geschlossen, für Mitarbeiter der Häuser wurde teils eine Notversorgung (z. B. To-go-Geschäft) implementiert, sodass auch die Umsätze der Gastronomien radikal gesunken sind.“
Im April und im Mai seien Akutkrankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen teilweise nur zur Hälfte belegt gewesen, berichtet auch André Thevessen, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Care bei der SV Group in Deutschland. „Die Situation in der Gemeinschaftsgastronomie verbessert sich allmählich, vom Normalzustand sind wir jedoch weit entfernt. Anders im Bereich der Akutversorgung und der Rehabilitation in dem die Auslastung schnell wieder zunahm.“ Im Seniorenbereich seien die Geschäfte ohne wesentliche Veränderungen weitergelaufen, so Thevessen weiter. Hier habe, ergänzt Kuhn, während des Peaks der Krise vor allem die Sicherstellung von noch höheren hygienischen Standards im Fokus gestanden, ebenso die, aufgrund der fehlenden sozialen Kontakte zu Angehörigen und Freunden, engere Betreuung der Senioren.
Carsten Wulf, Küchenleiter im Hamburger Alten- und Pflegeheim Gast und Krankenhaus, einem Pflegeheim, in dem unterschiedlichste Pflegegrade behandelt werden, berichtet über die Umsetzung der Corona-Maßnahmen: „Vor Corona war das Haus sehr offen gestaltet. Die Bewohner konnten Besuch empfangen und in unserem Restaurant/ Café mit ihren Angehörigen den jeweiligen Tagesabschnitt verbringen. Hier hatten wir durch die Besucher und die Angehörigen, aber auch durch Geschäftspartner, die sowohl an der Mittagsverpflegung als auch am Kaffeegeschäft teilgenommen haben, zusätzliche Umsätze. Dann, zu Beginn der Krise, haben wir drastische Schutzmaßnahmen ergriffen, um diesen hochsensiblen Bereich, die alten Menschen sowie unser Personal zu schützen.
Langsam zurück zur Normalität
Besuche wurden untersagt, Lieferanten nur noch außerhalb des Gebäudes bedient und Fachberater oder Vertreter hatten gar keinen Zugang mehr. Man habe die Arbeitszeiten angepasst, um größere Ansammlungen von Bewohnern und Mitarbeitern zu vermeiden, so Wulf. „Teams wurden gebildet, die wechselweise arbeiten, um bei Ausbruch einer Infektion das andere Team aktivieren zu können. Pausenräume wurden geschlossen und Pausenzeiten angepasst. Die Speisenverteilung wurde zu Frühstücks- und Abendzeiten auf Tellerservice umgestellt, da eine Selbstbedienung am Büfett nicht mehr möglich war. Hierfür wurden die jeweiligen Schichtbesetzungen optimiert, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.“ Die erwähnten zusätzlichen Umsätze fehlen seit Anfang März. Doch durch die konstante Belegung des Hauses seien zumindest keine weiteren Einbußen entstanden.
Inzwischen, so Kuhn, hätten die Krankenhäuser die Belegung weitestgehend wieder hochgefahren, der Stand liege im Durchschnitt schätzungsweise bei rund 80 bis
85 Prozent der Auslastung von vor Corona. Die Caterer haben die Kurzarbeit weitgehend wieder eingestellt und ins Regelgeschäft zurückkehren können.
Bei Caterer Apetito sieht derzeit die Situation wie folgt aus: „Um die Versorgung vor allem der älteren Menschen in Senioren-
einrichtungen, aber auch der Patienten in Klinken sicherzustellen, wurden Notfallkonzepte erarbeitet. Wenn Mitarbeiter in Heim- oder Klinikküchen positiv getestet werden, ist zu erwarten, dass Küchenteams teilweise oder sogar ganz in Quarantäne geschickt werden. Darauf müssen wir vorbereitet sein und kurzfristig Vorsorge treffen: Verpackte Lebensmittel für Frühstück und Abendbrot sind eingelagert. Für das Mittagessen bieten sich tiefgekühlte Menüs oder Menükomponenten an. Ziel muss es zudem sein, die Prozesse in der Küche so einfach zu gestalten, dass praktisch jeder Mitarbeiter im Haus oder ein Fachfremder von außen dort eingesetzt werden kann“, so Hans-Joachim Gruber, Geschäftsleiter Care bei Apetito.
Und auch bei der SV Group kehrt zunehmend Normalität zurück. „Im Akutsektor und in der Rehabilitation haben sich die Patientenzahlen seit Juli wieder auf das Niveau vor der Corona-Pandemie stabilisiert. Lediglich in der Versorgung der Angehörigen und Besucher sind aufgrund der zum Teil immer noch bestehenden Zugangsbeschränkungen in den Kliniken geringere Umsätze zu verzeichnen“, berichtet Thevessen.
Das neue Normal in den Arbeitsabläufen
In vielen Einrichtungen haben sich neue Arbeitsabläufe etabliert, Prozesse wurden angepasst. Und die werden vorerst auch so bleiben. In Rehaklininken, mit denen Caterer Apetito zusammenarbeitet, gibt es beispielsweise keine Büfetts mehr, sondern, stattdessen ein virtuelles Büfett. Das kann gerade in der Versorgung von Patienten auch mehr Vielfalt und Individualität bringen. „Hier setzt unser Konzept ,easy kitchen – Arbeiten leicht gemacht‘ an. Wir konzentrieren uns auf Frische auf dem Teller, handwerkliches Können, wo es nützt, und vereinfachte Arbeitsprozesse für unsere Mitarbeiter“, sagt Gruber. Gerade im Havariefall seien einfache Prozesse mit minimalem Personalbedarf gefragt. „Auch darüber hinaus sehen wir durch die Vereinfachung der Küchenprozesse in Pflegeeinrichtungen und Kliniken die Chance, die Mitarbeiter in den Küchen physisch und psychisch zu entlasten. Und wir lernen, Kunden gehen diesen Weg mit.“ Die Versorgungssicherheit stelle man im Fall der Fälle über ausgeklügelte Notfallspeisepläne sicher. Dazu gehörten die Vorhaltung von verpackten Lebensmitteln für die ersten Tage sowie eine Kombination von Zulieferungen und Convenience-Produkten. Eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit mit Lieferanten seien dabei unerlässlich.
Bei der SV Group konstatiert man die Intensivierung des Informationsmanagements in Verbindung mit der vermehrten Nutzung digitaler Kommunikationsstrukturen als nachhaltigste Veränderung der Arbeitsabläufe. „Vor allem während des Lockdowns waren Video- und Telefonkonferenzen die einzige Möglichkeit, den gestiegenen Informations- und Steuerungsbedarf abzudecken, sodass diese Medien jetzt einen hundertprozentigen Durchdringungsgrad aufweisen“, so Thevessen. „Es gilt für alle Sektoren im Care-Bereich, weiterhin sehr wachsam zu sein und die Sicherheitskonzepte konsequent umzusetzen. Zu diesem Zweck haben wir den Informationsaustausch zwischen den Einrichtungen und der SV Group nochmals erhöht. Damit stellen wir sicher, dass wir auf veränderte Rahmenbedingungen schnell reagieren können und für allfällige Quarantänefälle vorbereitet sind.“
Corona offenbart konzeptionelle Defizite
Für Berater Kuhn haben sich noch ganz andere Aspekte offenbart: „Durch die Krise wurden in vielen Häusern konzeptionelle Defizite aufgedeckt und der Handlungsdruck für die Aufhebung dieser Defizite ist gestiegen. Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Küchenkonzeptionen, auch durch die örtlichen Behörden, in den kommenden Jahren hinterfragt werden wird. Ein großes Thema hierbei sind bspw. Abstandsregelungen in der Bandverteilung oder der Produktion oder ganzheitliche Systemumstellungen. Der anhaltende Trend zu einem Systemwechsel wird durch die Pandemie beschleunigt. Es wurde in manchen Häusern auch deutlich, dass das Ausgliedern der Versorgungsleistungen an Profis dem Krankenhaus mehr Sicherheit gibt, sich in solchen Phasen auf das Kerngeschäft konzentrieren zu können.“
Trotz Corona und der damit verbundenen Einschnitte blicken die Care-Caterer optimistisch in die Zukunft. Hans-Joachim Gruber: „Care-Catering wird sich weiterentwickeln und wachsen. Heute sind, verglichen mit der Gesamtzahl, wenige Care-Einrichtungen an Caterer vergeben. Denn nicht nur die Mitarbeiter in Küchen werden immer älter, sondern auch die Bewohner – einhergehend mit einem höheren Grad an Pflegebedürftigkeit. Damit steigen auch die Anforderungen an die Ernährung und somit an die Küche. Daher beschäftigen wir uns intensiv mit neuen Konzepten, um der immer älter werdenden Belegschaft mit neuen Arbeitsplatz- und Zeitmodellen Rechnung zu tragen.“ Auch Thevessen ist überzeugt: „Der Care-Bereich, so hat sich in dieser Krise gezeigt, ist stabil.“
Marcus Scherer ist Küchenchef im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. 360 Mitarbeiter hat das Krankenhaus insgesamt, davon arbeiten 17 in der Küche und im eigentlich öffentlich zugänglichen Café am Park. Jeden Tag wird frisch und qualitativ hochwertig gekocht, was Patienten wie auch externe Gäste schätzen.
Scherer berichtet: „Vor Corona waren mit einer guten Auslastung des Hauses wie auch einer sehr guten Frequentierung unseres öffentlich zugänglichen Cafés die Budgetzahlen gut zu erreichen.“ Durch viele Optimierungen in der Speisenversorgung, der täglichen Produktion und des Einkaufs sei man gut aufgestellt gewesen und der Wareneinsatz je Beköstigungstag (BKT) habe optimiert und auch Überproduktion und Fehlproduktion verringert werden können. „Dies bedeutete auch eine Reduzierung des Speiseabfalls um 35 Prozent“, so Scherer. Doch dann kam Corona, und von einem auf den anderen Tag war alles anders. „Neben der Reduzierung der Operationen und eine dadurch verringerte Belegung gab es in allen Bereichen große Einschnitte und Veränderungen. Alle Hygienekonzepte mussten an die neue Situation angepasst werden. Corona heißt auch die Schließung des öffentlichen Cafés, was für uns ca. 100 Mittagessen weniger bedeutet, das ist eine Reduktion um 60 Prozent. Da auch keine Besucher mehr ins Haus durften, konnten und können wir diese Umsätze bis heute nicht auffangen. Und auch die Erlöse für die Speisenversorgung brachen ein. Gerade im Bereich der Wahlleistung war es schwierig, alle Waren vorrätig zu halten. Außerdem lief bei vielen Produkten das MHD ab, da sie nicht mehr gewählt wurden, was zu einer Steigerung der Kosten pro BKT führte.“ Die Lieferanten seien teilweise nicht mehr in der Lage gewesen zu liefern, Zulieferer stoppten teilweise ganze Produktionen von Menükomponenten, „was uns zu immer kurzfristigerem Handeln zwang. Speisepläne und Versorgungsstrategien mussten ständig angepasst werden“, so Scherer.
Natürlich musste ein „Worst-Case“-Plan ausgearbeitet werden, sollte sich ein Mitarbeiter mit Corona infizieren und dadurch die Speisenversorgung zusammenbrechen. „Wir haben uns mit einem Mitbewerber zusammengetan, der aufgrund der Pandemie hohe Umsatzrückgänge hatte. Dieser hätte bei uns vor Ort das Team ersetzt und mit einem erstellten Notfallversorgungsplan die Patienten und Gäste versorgt. Das wäre zwar zulasten der individuellen Versorgung gegangen, aber eine Grundversorgung wäre sichergestellt gewesen. Zum Glück ist dieser Fall nicht eingetreten.“
Man habe sich natürlich auf Hygiene und Reinigungsabläufe konzentriert. „Es war von Vorteil, dass wir in den letzten Jahren alle Arbeitsabläufe optimiert hatten und die Mitarbeiter gut geschult wurden. Unser bewährtes
HACCP-Konzept hat sich als sehr nützlich erwiesen. Jetzt erst damit anzufangen, hätte in einer Katastrophe enden können. Dies zeigt mal wieder, dass man sich immer mit seinen Abläufen beschäftigen muss und nicht alles als gegeben nehmen darf. Die Spülmaschine war täglich dreimal zu entleeren und zu desinfizieren. Das kostete natürlich entsprechend mehr Zeit, die einzukalkulieren war. Auch steigerte sich durch die ganzen hygienebedingten Veränderungen der Verbrauch an Hygiene- und Schutzausrüstung. Und hier stiegen auch die Nebenkosten extrem an. Kostete eine Einweghaube vor Corona
0,05 Euro, kostet diese jetzt das Fünffache. Diese Preissteigerung zieht sich durch alle Bereiche, die mit Hygieneauflagen zu tun haben. Man muss nehmen, was der Markt hergibt – und sich auch an die Gegebenheiten und damit die Preise anpassen. Diese Entwicklung war und ist erschreckend.“
Inzwischen habe sich einiges wieder normalisiert, sagt Scherer. „Wir haben wieder eine gute Auslastung, Besucher sind eingeschränkt zugelassen. Dadurch ist das Café zwar wieder offen, aber auf Sparflamme.“ Summa summarum verzeichne man einen Umsatzrückgang von ca. 60 Prozent im Café und von ca. 40 bis
50 Prozent in der Patientenversorgung während der Hochzeit der Pandemie.
„Wir gehen jetzt positiv an die Sache ran. Natürlich hat die Pandemie Schwachstellen aufgezeigt und wir müssen an einigen Ecken nachjustieren. Aber man hat auch positive Aspekte gesehen und ist gestärkt worden. Wir planen immer noch die Erneuerung unserer Küche.“
Und wie sieht der neue Alltag aus? „Heute muss man sich noch mehr mit Produktionsplänen, dem Einkauf und den Kosten auseinandersetzen. Dank eines sehr guten Speisenversorgungssystems können wir auf gute Grunddaten für die tägliche Produktion zugreifen. Dies hilft uns, Kosten zu sparen und trotz allem noch effizient zu sein. Natürlich haben sich auch die Kosten für Lebensmittel erhöht. Solche Preissteigerungen sind leider nicht zu kompensieren und bedeuten einen erhöhten Wareneinsatz je BKT. Wir versuchen durch weitere Optimierungen, die Kosten im Griff zu behalten. Da wir aber keinesfalls die Qualität reduzieren möchten, ist es in vielen Fällen nicht möglich, zu sparen. Die Speisenversorgung ist neben der hohen medizinischen und pflegerischen Qualität ein Standbein des Hauses. Der Patient bzw. der Gast steht immer noch im Mittelpunkt der Speisenversorgung.“