HERR BECKER, WIE SEHEN SIE DIE ENTWICKLUNG IM BEREICH DER NACHWUCHSKÖCHE?
Es wird immer schwieriger, junge Leute für Ausbildungen generell und in der Hotellerie und Gastronomie zu motivieren. Grundsätzlich ist das Interesse zwar bei den Generationen Y und Z vorhanden, sich im „Lifestyle“-Segment Hospitality zu tummeln. Auch die zahlreichen Fernsehshows zeigen ja zumindest oberflächlich, dass vor allem bekannte Köche faszinieren. Bei allgemeiner Vollbeschäftigung und den Wirkungen der demographischen Entwicklung haben Jugendliche eine sehr große Auswahl, haben viele Alternativen und lassen sich sehr viel Zeit, die für sie vermeintlich attraktivste Option zu finden.
DER KOCHBERUF IST NICHT DABEI. WARUM NICHT?
Leider werden die Jugendlichen von einer Generation Eltern bzw. Erwachsener negativ beeinflusst, die häufig relativ anstrengungslos zu Wohlstand gekommen ist. Eine duale Ausbildung und die harte Arbeit in der Gastronomie passt dann – v.a. bei besser qualifizierten Jugendlichen – meist nicht ins Image der gesellschaftlichen Stellung der Eltern, die ihrerseits jede Annehmlichkeit unserer Lifestyle produzierenden Branche gerne in Anspruch nehmen und bezahlen. Leider überträgt sich dieser „Lifestyle“-Spirit noch nicht auf die eigenen Berufs- und Ausbildungswünsche der Jugendlichen. Bei weiblichen Jugendlichen wäre übrigens aus unserer Erfahrung das Interesse am Kochberuf noch stärker, wenn es mehr weibliche Vorbilder und Ausbilderinnen gäbe.
WÜRDEN MEHR WEIBLICHE KOCHLEHRLINGE DAZU BEITRAGEN, DIE VERGLEICHSWEISE HOHE ABBRECHERQOUTE ZU VERRINGERN?
Die Never-Ending-Debatte über die Abbrecherquoten sollte man endlich viel differenzierter betrachten. Erstens wird in den Statistiken kaum erfasst, ob ein Azubi eventuell nur den Ausbildungsbetrieb gewechselt hat. Zweitens sind mir keine speziellen Statistiken über Abbrecherquoten von Azubis bei Caterern bekannt. Gefühlsmäßig gehe ich davon aus, dass die wegen der meist viel besser strukturierten und geregelten Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse deutlich geringer sein dürften als in der klassischen Hotellerie und Gastronomie. Im Übrigen sei einmal darauf hingewiesen, dass die durchschnittliche Abbrecherquote über alle Bachelorstudiengänge ebenfalls bei 33 Prozent liegt. Selbstverständlich gibt es immer noch häufig Enttäuschungen auf beiden Seiten, und einige Vorgesetzte und Ausbilder, v.a. auf den unteren operativen Ebenen, verstehen es nach wie vor nicht, auf die völlig anderen Bedürfnisse und Einstellungen der Generation Z einzugehen. Hier ist viel zu tun im Hinblick auf Führungs- und Ausbildertraining.
WELCHE ROLLE SPIELT DABEI DIE BERUFSSCHULE?
Der Lehrplan für Köche muss dringend überarbeitet werden, was zurzeit glücklicherweise bereits geschieht. Nach unseren Erfahrungen zeigen ansonsten gerade die Praxis-
lehrkräfte einen enormen Einsatz für die ihnen anvertrauten Azubis, der häufig weit über den vorgeschriebenen Dienst- und Lehrplan hinausgeht. Auch wenn es sicherlich bei Arbeitgebern und Ausbildungsbetrieben eine unpopuläre These ist, ist zu vermuten, dass bei einem höheren Anteil der berufsschulischen Ausbildung die Qualität der Köcheausbildung besser und die Abbrecherquote niedriger sein dürfte. Die Ausbildungsbetriebe haben ja in der Regel im Alltagsbetrieb nicht die Zeit und Ressourcen, mit der heute notwendigen Intensität auf die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen einzugehen.
WAS MÜSSEN AUCH CATERER UNBEDINGT VERBESSERN?
Aufwendige Beschäftigung mit den individuellen Charakteren, Stärken und Schwächen der Azubis ist unabdingbar. Für die Generation Z ist es wichtig, dass die geforderten Tätigkeiten transparent und sinnvoll für den Betrieb, den Kunden und für sie sind, dass Dienstpläne rechtzeitig im Voraus vorliegen und verlässlich sind. Und dass Begeisterung für das Unternehmen und ein Team-Spirit erzeugt wird, bei dem alle beteiligten Mitarbeiter am Ende stolz auf das Geleistete sein und dies auch gemeinsam feiern können. Incentives wie Gutscheine für Festival- und Konzertbesuche oder andere Freizeitaktivitäten, die ggf. ja schon wieder Eindrücke auch für die eigene Arbeit bieten, ergeben ebenfalls Sinn. Und bitte unbedingt den weiblichen Köche-Nachwuchs anlocken und fördern.
WAS MACHEN CATERER SCHON GUT? GIBT ES EINEN BENCHMARK IN DER BRANCHE?
Hier würde ich exemplarisch gerne Broich Catering erwähnen, die durch die Gründung der Broich Akademie die internen Ressourcen geschaffen haben, Mitarbeiter und Auszubildende individuell zu fördern, deren Stärken zu betonen und deren Defizite auszugleichen. Die Ausbildung wird möglichst abwechslungsreich und – durch den „Blick über den Tellerrand“ – ganzheitlich gestaltet, indem z.B. über das Pflichtprogramm hinaus Exkursionen zu Food-Lieferanten, Sternerestaurants etc. durchgeführt werden. Zudem hilft Broich bei der Wohnungssuche, bei Behördengängen, ggf. bei Sprachkursen und vielem mehr.
UND INWIEWEIT IST DIE WIHOGA AKTIV?
In unserer ausbildungsvorbereitenden ein- bis zweijährigen Hotelberufsfachschule gehen wir da mit gutem Beispiel voran. Wir schaffen es seit Jahren recht erfolgreich, die individuellen Interessen, Stärken und Schwächen der Jugendlichen zu berücksichtigen, sie individuell zu fördern und jedem einen geeigneten Praktikums- und Ausbildungsplatz zu vermitteln. Große Erfolge erzielen wir in diesem Bildungsgang gerade bei den Soft und Social Skills, die von den abnehmenden Ausbildungsbetrieben sehr geschätzt werden. Ansonsten legen wir im Rahmen unsres Zertifikatslehrgangs „Catering Management“ und der Wirtschaftsfachschule großen Wert auf die Vermittlung von Führungs- und Ausbildungskompetenzen. Insbesondere unser Wihoga-Coaching-Konzept verschafft uns dabei im Vergleich zu anderen Hotelfachschulen einen gewissen Vorsprung. Die Wihoga Dortmund vergibt zudem jährlich an den/die Preisträger/in beim Rudolf-Achenbach-Preis ein Stipendium für die Weiterbildung zum/zur Betriebswirt/in im Gesamtwert von 4.500 Euro. Auf diese Weise wollen wir schon sehr frühzeitig die besten Nachwuchsköchinnen und -köche motivieren, zukünftig Führungsaufgaben zu übernehmen und zeitgemäß auszubilden.
Zur Person:
Harald Becker, Jahrgang 1959, Diplom-Kaufmann und Oberstudiendirektor, ist seit 30 Jahren bei den Wirtschaftsschulen für Hotellerie, Gastronomie, Handel und Dienstleistungen (WIHOGA) in Dortmund tätig. Er ist Mitbegründer und langjähriger Koordinator des Zusatzstudiengangs Catering-Management. Seit elf Jahren ist er der Schulleiter und Gesamtverantwortliche für die strategische Ausrichtung und die operativen Geschäfte der Wihoga. Er selbst unterrichtet Wirtschaftsinformatik, Business English sowie Mode- und Luxusmanagement. Seit 2015 ist Harald Becker auch Vorstandsmitglied des VDP Verband Deutscher Privats. (Foto: Harald Becker, Wihoga)